Zeitgemäße spirituelle Formen

Ein Symbol für die dynamische Qualität des Göttlichen ist die sprudelnde Quelle.
Die Formen, wie Menschen ihre Spiritualität leben, haben ihre Grundlage im Gottesbild, das dahinterliegt. Spiritualität in unserer Zeit ist dadurch gekennzeichnet, dass Menschen sich von vormodernen Gottesbildern lösen und neue Zugangsweisen suchen.1 Mit einem statischen Gottesbild, das mit menschenähnlichen Vorstellungen verbunden ist, mit männlichen Gesichtszügen dargestellt wird und als Allmächtiger, Weltherrscher oder im Himmel Thronender beschrieben wird,2 können viele Menschen heute nichts mehr anfangen. Sie stellen sich das Göttliche vielmehr dynamisch vor, wie es in allen spirituellen Traditionen in der Mystik beschrieben wird. Dort wird das Göttliche als Licht, Liebe und Leben erfahren, als eine sprudelnde Quelle, die sich ständig in die Schöpfung und die Herzen der Menschen ausgießt.3 Sebastian Painadath meint, dass es im geistlichen Leben darum geht, mit der göttlichen Seinsdynamik in Einklang zu kommen und für die Schwingungen des göttlichen Geistes resonanzfähig zu werden. Dies ist ein prozesshaftes Geschehen, auf das wir uns seiner Meinung nach einlassen dürfen.4
Mit Übungen aus dem Qi Gong schwingt man sich in diese dynamische Qualität ein.
David Steindl-Rast drückt es so aus: Es wäre ein großes Missverständnis, die göttliche Ordnung als statisch zu begreifen. Ganz im Gegenteil. Sie ist zuinnerst dynamisch. Das einzige, womit wir diese Ordnung vergleichen können, ist der Tanz der Sphären. Wir sind eingeladen, uns auf diese Harmonie einzustimmen, nach der das ganze Universum tanzt. (…) Während sich jedoch das übrige Universum frei und anmutig in kosmischer Harmonie bewegt, sind wir Menschen nicht ohne Weiteres dazu in der Lage.5 Es ist daher nötig, sich in eine horchende Haltung zu begeben, weshalb zeitgemäße spirituelle Formen oft meditative und kontemplative Elemente enthalten, um sich der Botschaft des Augenblicks zu öffnen. Steindl-Rast meint, dass wir mit dem Herzen horchen sollen, mit dem ganzen Wesen. Im Herzen ist das Zentrum unseres Wesens, dort sind wir wahrhaftig eins. Dort sind wir mit unserem innersten Selbst in Berührung und mit dem ganzen Dasein vereint. Hier sind wir auch vereint mit Gott, der Quelle des Lebens, welche im Herzen entspringt.6
Willigis Jäger betont die Bedeutung der Erfahrungsdimension für eine zeitgemäße Spiritualität. Er sagt: Religion ist unser Leben und der Vollzug des Lebens ist die eigentliche Religion. Gott will nicht verehrt, er will gelebt werden. So sieht er in Rollerskating und Paragliding potentiell genau so viel Religiosität wie in einem Gottesdienst und fragt sich, wie das christliche Glaubensleben um eine leibliche Komponente bereichert werden kann. Eine gewisse Hoffnung setzt er dabei auf die Frauen.7
1Ceming, Aspekte einer Spiritualität der Zukunft, 50.
2 Painadath, Göttliche Seinsdynamik. Östliche Mystik und christliche Spiritualität im Dialog, 20.
3 Painadath, 20.
4 Painadath, 58.
5 Steindl-Rast, Die Achtsamkeit des Herzens, 24.
6 Steindl-Rast, 14.
7 Jäger, Die Welle ist das Meer, 24.
Text: Michaela Stauder