Freitag 19. September 2025

Bischöfe: Sterbehilfe-Urteil ist Kulturbruch und gefährdet Solidarität

An der Hand eines Menschen sterben, nicht durch die Hand eines Menschen.

Für die katholische Bischofskonferenz ist das Sterbehilfe-Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ein Kulturbruch mit dem bisherigen bedingungslosen Schutz des Menschen am Lebensende.

Das hat der Salzburger Erzbischof Franz Lackner als Vorsitzender der Bischofskonferenz am 11. Dezember 2020 nach der Entscheidung des Höchstgerichts betont.  "Jeder Mensch in Österreich konnte bislang davon ausgehen, dass sein Leben als bedingungslos wertvoll erachtet wird – bis zu seinem natürlichen Tod. Diesem Konsens hat das Höchstgericht mit seiner Entscheidung eine wesentliche Grundlage entzogen", sagte Lackner, der "mit Bestürzung" das VfGH-Urteil bezüglich des Verbots der Beihilfe zur Selbsttötung aufgenommen hat.

 

"Die selbstverständliche Solidarität mit Hilfesuchenden in unserer Gesellschaft wird durch dieses Urteil grundlegend verändert", hielt der Erzbischof weiter fest. Wörtlich sprach Lackner von einem "Dammbruch" und warnte davor, dass mit der erlaubten Beihilfe zum Suizid der Druck auf kranke und alte Menschen steigen werde, davon Gebrauch zu machen.

 

"Wer in einer existenziellen Krisensituation wie Krankheit und Lebensmüdigkeit einen Sterbewunsch äußert, braucht keine Hilfe zur Selbsttötung, sondern menschliche Nähe, Schmerzlinderung, Zuwendung und Beistand", betonte der Bischofskonferenz-Vorsitzende. Nur so könne jeder Mensch sicher sein, dass er in seiner Würde auch in verletzlichen Lebensphasen geachtet und geschützt wird. Lackner wörtlich: "Wir dürfen den Menschen nicht aufgeben, auch wenn er sich selbst aufgegeben hat."

 

Vor dem Hintergrund der Entscheidung werde sich die Kirche sowohl in der Palliativ- und Hospizarbeit, aber auch in der Suizidprävention und Begleitung der Menschen in Lebenskrisen nun noch intensiver engagieren, kündigte der Salzburger Erzbischof an. Gleichzeitig appellierte er an den Gesetzgeber, jede rechtliche Möglichkeit auszuschöpfen, um den diesbezüglichen bisherigen österreichischen Konsens möglichst beizubehalten. "Der Mensch soll an der Hand eines anderen, aber nicht durch die Hand eines anderen sterben – dieses Wort von Kardinal Franz König bleibt ungebrochen gültig", betonte der Vorsitzende der Bischofskonferenz.

 

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz Erzbischof Franz Lackner

Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz Franz Lackner zeigt sich bestürzt über das Urteil des Verfassungsgerichtshofs. © Kathpress / Henning Klingen

 

Kathpress dokumentiert im Folgenden die Erklärung von Erzbischof Lackner als Vorsitzender der Bischofskonferenz im vollen Wortlaut:

 

"Mit Bestürzung habe ich als Vorsitzender der Bischofskonferenz das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs bezüglich des Verbots der Beihilfe zur Selbsttötung aufgenommen. Der Verfassungsgerichtshof hat eine Letztzuständigkeit mit Höchstverantwortung. Das wollen wir Bischöfe grundsätzlich respektieren. Eine derartige Entscheidung kann die Kirche aber nicht mitvollziehen. Diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs bedeutet einen Kulturbruch. Die selbstverständliche Solidarität mit Hilfesuchenden in unserer Gesellschaft wird durch dieses Urteil grundlegend verändert.

 

Jeder Mensch in Österreich konnte bislang davon ausgehen, dass sein Leben als bedingungslos wertvoll erachtet wird  bis zu seinem natürlichen Tod. Diesem Konsens hat das Höchstgericht mit seiner Entscheidung eine wesentliche Grundlage entzogen. Es verlangt nunmehr von der Rechtsordnung, Situationen zu nennen, in denen nicht nur akzeptiert werden soll, wenn sich jemand das Leben nimmt, sondern in denen er noch dazu dabei unterstützt werden soll. Dies hat gravierende Folgen für das gesellschaftliche Selbstverständnis und Zusammenleben und bedeutet einen Dammbruch.

 

Wo die Option angeboten wird, sich in Krisensituationen wie schwerer Krankheit oder Altersgebrechlichkeit mit Unterstützung von anderen das Leben zu nehmen, wächst der Druck auf kranke und alte Menschen, davon Gebrauch zu machen. Sie wollen Angehörigen oder der Gesellschaft nicht zur Last zu fallen oder finanzielle Kosten aufbürden. Leider zeigen Erfahrungen aus der Schweiz und in anderen Ländern, wo die Beihilfe zum Suizid bereits erlaubt ist, erschreckend, dass die Zahl der Selbsttötungen gerade bei älteren Menschen stark ansteigt.

 

Der Suizid wird in diesem Kontext als selbstbestimmte Entscheidung dargestellt. Dabei wird aber übersehen, dass die Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, kein geglückter Fall von Freiheit ist, sondern ein tragischer Ausdruck von Aussichtslosigkeit und Verzweiflung. Ein Suizid gibt keine Antwort  stattdessen reißt er viele Fragen auf.

 

Es ist uns Bischöfen schmerzlich bewusst, dass Menschen immer wieder in Situationen oder Lebensphasen geraten können, in denen sie den Sinn ihres Daseins infrage stellen. Eine Gesellschaft, die Solidarität mit ihren Mitmenschen ernst nimmt, darf einen in dieser Situation auftretenden Selbsttötungswunsch nicht bestärken. Im Gegenteil: Wer in einer existenziellen Krisensituation wie Krankheit und Lebensmüdigkeit einen Sterbewunsch äußert, braucht keine Hilfe zur Selbsttötung, sondern menschliche Nähe, Schmerzlinderung, Zuwendung und Beistand. Nur so kann jeder Mensch sicher sein, dass er in seiner Würde auch in verletzlichen Lebensphasen geachtet und geschützt wird.

 

Studien belegen, dass nicht der körperliche Schmerz das Hauptmotiv für einen Tötungswunsch ist, sondern vielmehr psychische Belastungen wie Depression, Hoffnungslosigkeit und Angst. Die Antwort darauf kann aber nicht Tötung sein, sondern professionelle Hilfe, Beratung und Beistand. Sterben ist ein Teil des Lebens. Wir dürfen den Menschen nicht aufgeben, auch wenn er sich selbst aufgegeben hat. Mit Papst Franziskus warnen wir vor einer Wegwerfgesellschaft im Blick auf Menschen, die droht, wenn das Gesetz das menschliche Leben am Ende nicht mehr schützt.

 

Aus unserem christlichen Verständnis sind der Anfang und das natürliche Ende des Lebens einzigartige Momente und heilig. Je mehr der Mensch sich anmaßt, diese beiden Momente allein unter seine Machbarkeit zu stellen, desto mehr wird das Dazwischen, die Lebenssubstanz, an der wir alle partizipieren, geschwächt und ausgehöhlt.

 

Als Bischöfe sind wir dankbar für die zahlreichen kirchlichen und kirchennahen Einrichtungen, die mit großem Engagement daran arbeiten, ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Als Kirche werden wir uns nun sowohl in der Palliativ- und Hospizarbeit, aber auch in der Suizidprävention und Begleitung der Menschen in Lebenskrisen noch mehr engagieren. Und wir werden uns dafür einsetzen, dass in Österreich niemand - weder Betroffener, noch Angehöriger, weder Dienstleister, noch Einrichtung - direkt oder indirekt gedrängt wird, Suizidbeihilfe anzubieten bzw. in Anspruch zu nehmen.

 

Wir appellieren an den Gesetzgeber, jede rechtliche Möglichkeit auszuschöpfen, um den bisherigen österreichischen Konsens möglichst beizubehalten. Jeder Mensch (in Österreich) soll wissen, dass sein Leben für uns wertvoll ist. Der Mensch soll an der Hand eines anderen, aber nicht durch die Hand eines anderen sterben   dieses Wort von Kardinal Franz König bleibt ungebrochen gültig."

 

 

Verbot von Beihilfe zum Selbstmord vom VfGH aufgehoben

 

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat die Regelung gekippt, wonach Beihilfe zum Suizid strafbar ist. Der Straftatbestand der "Hilfeleistung zum Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, argumentierten die Richter bei der mündlichen Urteilsverkündung am Freitag, 11. Dezember 2020. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar. Die neue Regelung ist mit 1. Jänner 2022 wirksam. Bis dahin wird dem Gesetzgeber empfohlen, Maßnahmen zu treffen, um Missbrauch zu verhindern.

 

Speziell die Strafgesetzbuch-Paragrafen 77 (Tötung auf Verlangen) und 78 (Mitwirkung am Selbstmord) des StGB wurden bei der dreiwöchigen VfGH-Dezembersession verhandelt. Die erste Bestimmung - "Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen" – wurde von den Höchstrichtern bestätigt. Die zweite – "Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen" – wurde differenziert behandelt. Der erste Straftatbestand (Verleitung zum Suizid) bleibt aufrecht, der zweite (Hilfeleistung) wurde jedoch aufgehoben.

 

Dem VfGH zufolge ist es gleich anzusehen, ob ein Patient im Rahmen einer medizinischen Behandlung oder einer Patientenverfügung lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizidwilliger mit Hilfe eines Dritten sein Leben beenden will. In jedem der beiden Fälle sei vielmehr entscheidend, dass die jeweilige Entscheidung durch freie Selbstbestimmung getroffen worden sei. Dass sowohl in der Behandlungshoheit als auch im Ärztegesetz auf die freie Selbstbestimmung verwiesen werde, widerspreche dem zweiten Tatbestand StGB des Verbots jeglicher Hilfe bei der Selbsttötung.

 

Wie VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter bei der Urteilsverkündung betonte, sei sich der Gerichtshof wohl der vielfältigen sozialen und ökonomischen Umstände bewusst, durch welche die freie Selbstbestimmung beeinflusst werden könne. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, durch entsprechende Maßnahmen Missbrauch – insbesondere die Entscheidung der betroffenen Person unter dem Einfluss Dritter – vorzubeugen.

 

Recht auf Selbstbestimmung

 

Für die Aufhebung des Suizidbeihilfe-Verbots maßgeblich war laut Grabenwarter das aus der Verfassung abgeleitete Recht auf Selbstbestimmung. Dieses umfasse "sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben". Die Entscheidung des Einzelnen, ob und aus welchen Gründen er sein Leben in Würde beenden wolle, hänge von seinen Überzeugungen und Vorstellungen ab und liege in seiner Autonomie. Auch das Recht, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen, gehöre zu dieser Selbstbestimmung.

 

Weiterhin strafbar bleibt die Verleitung eines anderen Menschen zur Selbsttötung. Die Entscheidung, sich unter Mitwirkung eines Dritten zu töten, ist nur dann grundrechtlich geschützt, wenn sie, frei und unbeeinflusst getroffen wird. Diese Bedingung ist von vorneherein nicht erfüllt, zumal der Tatbestand des "Verleitens" ausgeschlossen sein muss. Nicht zulässig ist laut VfGH auch die Anfechtung des Verbots der Tötung auf Verlangen, der sogenannten aktiven Sterbehilfe (Par. 77 StGB). Im Falle einer Aufhebung wäre die Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen als Mord oder Totschlag zu ahnden.

 

Anlass für die VfGH-Befassung waren vier Individualanträge gegen die StGB-Paragraphen 77 und 78, die ein Wiener Anwalt mit Unterstützung des Schweizer Sterbehilfevereins "Dignitas" eingebracht hatte. Die Richter hatten sich vor dem Urteil in drei ihrer bisherjährigen Sessionen damit auseinandergesetzt.

 

 

Themenschwerpunkt mit der gesammelten Kathpress-Berichterstattung zur aktuellen Debatte um assistierten Suizid unter www.kathpress.at/sterbehilfe

 

Kathpress

 

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